Im lokal begrenzt wetterwirksamen Lee des Pfälzer Waldes beobachteten wir am 11. August 1999 von 11 bis 14 Uhr praktisch frei von Wolken den gesamten Verlauf der totalen Sonnenfinsternis inklusive der besonders eindrucksvollen Totalität.

Beobachtungen aus den Weinbergen der Südpfalz

Im verzauberten Licht der total verfinsterten Sonne

Die Wellen des Meeres plätscherten romantisch an den Strand. Tief über dem Horizont stand am 10. Mai 1994 die Sichel der Sonne. Meine Frau und ich unternahmen damals eine Strandwanderung nordwestlich von Kiel an der Ostsee, um bei herrlichem Wetter die partielle Sonnenfinsternis zu beobachten.

Gut fünf Jahre später, am 11. August 1999, wollen wir nun die bei gutem Wetter von Deutschland sichtbare totale Sonnenfinsternis beobachten. Ein Schauspiel, das ich mir als Geophysiker auf keinen Fall entgehen lassen kann. Von wünschenswertem Sonnenfinsterniswetter ist laut Satellitenbildern jedoch weit und breit in der Nähe des Wohnortes nichts zu sehen. So überlegen wir uns, ob wir doch noch spontan Richtung Ungarn zum Neusiedler See oder gar zum Plattensee fahren sollen, um die Beobachtungswahrscheinlichkeit auf nahezu 100 % zu bringen. Aber das ist uns einfach zu viel Aufwand. Es muss möglich sein, das Ereignis quasi von zu Hause aus erleben zu dürfen. Und so nehme ich die Herausforderung an, im deutschen Wolkenmeer die astronomischen Oasen wolkenfreien Himmels zu finden. Aber diese Lichtblicke zu erhaschen, scheint ein einziges Glücksspiel:

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Die Wolken, die vorm Monde ziehn,

verdunkeln ihn,

und auch die Sonne unsrer Breiten

hat mit den Wolken Schwierigkeiten.

Wie soll der Mensch nur auf der bösen

Welt kämpfen und Probleme lösen,

mit seinem kleinen dummen Hirn,

wenn selbst das göttliche Gestirn,

die Sonne, täglich resigniert

und ihren Kampf verliert

gegen ein bisschen Wasserdampf...?!

Soweit Heinz Ehrhardt zum Thema der in Deutschland meist von Wolken verfinsterten Himmelskörper Sonne und Mond. Alle Register muss ich ziehen, um zu einer guten lokalen Wettervorhersage zu kommen. Dazu lade ich immer wieder die Satellitenfotos aus dem Internet. Wie man es auch dreht, der Wolkennachschub scheint ungebrochen. Das spricht gegen den Standort Deutschland. Erst südöstlich der Alpen scheint die Beobachtungssituation verlässlich. So überlegen wir erneut, ob denn doch noch der spontane Aufbruch Richtung Burgenland oder gar Plattensee in Ungarn der einzige Weg sei, die totale Sonnenfinsternis ohne zusätzlicher Verfinsterung durch Wolken zu erleben. Der Aufwand erscheint uns aber nach wie vor zu hoch.

Unser derzeitiger Wohnort Nauheim bei Groß-Gerau liegt inmitten der Oberrheintalebene, gar nicht weit von der Totalitätszone. Immer wieder haben wir beobachtet, wie im Westen bei allgemein schlechtem Wetter blaue Löcher einfach nicht näher kamen. Sie waren stationär. Sie bildeten sich infolge des Föhns auf der Leeseite der Berge auf der Westseite des Rheintalgrabens. Dieser Effekt, so hoffe ich, könne eine ungehinderte Beobachtung der Finsternis ermöglichen. Ein solche Situation ist bei NW-Wind ebenfalls gegeben südwestlich des Pfälzer Waldes. Und dieses Gebiet liegt eine Stunde Autofahrt entfernt inmitten der Totalitätszone. Das Beobachtungsgebiet steht damit fest. Wenn es hier nicht aufreißt, dann nirgendwo in Deutschland.

Die Struktur der Wolkenbänder, die zum Beobachtungszeitpunkt dort zu erwarten sind, gehören zu jener Sorte, die einer Leesituation meist nicht standhalten. Und so hoffe ich fest, dass der Pfälzer Wald wohl für eine Leewelle sorgen wird, die westlich von Karlsruhe die Wolken über nicht bewaldeten Gebieten solange fern halten wird, bis die Thermik am Nachmittag zu stark wird. Auch der Deutsche Wetterdienst zählt die Südpfalz zu jenen Gebieten, in denen noch am ehesten die Beobachtung der Finsternis möglich scheint. Damit ist zwar das Beobachtungsgebiet gefunden, aber noch nicht die genaue Lokalität. Denn auf keinen Fall wollen wir neben dem potentiellen Wolkenloch stehen. Es bleibt weiter spannend, ob es uns gelingen würde, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Wir gehen ins Bett und sind guter Dinge...

Am nächsten Morgen brechen wir, meine Frau, meine beiden Kinder und ich, vor neun Uhr auf, um die etwa 70 km von unserem Wohnort entfernte Totalitätszone bis 11 Uhr sicher zu erreichen. Durch Regenschauer fahren wir schier aussichtslos unter einer geschlossenen Wolkendecke nach Süden. Das Wetter zeigt sich astronomiefeindlich, bis wir in die Nähe des Pfälzer Waldes kommen. Dann, urplötzlich scheint mit jedem Kilometer mehr und mehr die Sonne. Wir realisieren, dass trotz aller düsteren Aussichten eine echte Chance besteht, die viel zitierte "Schwarze Sonne", die ja eigentlich der Mond vor der Sonne ist, zu sehen. Kurz vor dem Erreichen der Totalitätszone erfordert die Verkehrssituation, zum Teil holprige Feldwege mit in die Streckenwahl aufzunehmen. "Durchfahrt verboten", es gilt nicht für Leute, die wissen, wo es um die Staus herum lang geht. Die Bauern mögen allen verzeihen, die wie wir zum Teil über ihre Feldwege brettern. Denn erst waren es die Autobahnen, dann die Bundesstraßen und schließlich am Rand der Totalitätszone sogar die einfachen Landstraßen, die verstopft waren.

Bei hochsommerlich anmutenden Temperaturen und unter strahlender Sonne erreichen wir schließlich unser Beobachtungsgebiet, die Südpfalz, südlich von Landau. Jetzt gilt es, die genaue Topographie der Berge des Pfälzer Waldes am Oberrheintalgraben zu erfassen, und die Windrichtungen in den verschiedenen Höhenlagen anhand der Bewegungen der einzelnen Wolkenschichten zu studieren, um daraus noch im Zusammenhang mit dem Boden und der dortigen Vegetation abzuleiten, wo denn eines der hier tatsächlich vorgefundenen Wolkenlöcher für mindestens zwei Stunden bestehen bleibt. Einen solchen Standort finden wir schließlich zwischen Bad Bergzabern und Karlsruhe. In der Nähe des Dorfes Rohrbach beziehen wir Stellung auf einem Hügel inmitten von Weinreben.

Mittlerweile hat der Mond die Sonne bereits angeknabbert. Durch die SoFi-Brillen verfolgen wir die zunehmende Versichelung der Sonne. Manchmal ziehen für kurze Momente Wolkenfetzen vor der partiell verfinsterten Sonnenscheibe durch. In diesen Momenten ist die zunehmend schlanker werdende Sichel der Sonne ohne Augenschutz beobachtbar. Die Sonneneinstrahlung ist derartig intensiv, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Thermik uns eine dicke Cumulus-Wolke vor die Sonne schiebt. Also blase ich stets zum potentiellen Aufbruch, da jederzeit ein Standortwechsel möglich sein könnte. Meine Frau und die Kinder halten sich nur in der Nähe des Wagens auf, alle Mitbringsel sind soweit wie möglich im Wagen. Erst muss die Totalität vorüber sein, dann darf das Picknick steigen...

Das Wolkenloch hält und hält und hält. Hin und wieder ziehen ein paar durchsichtige Altostratusfelder durch, die aber den Blick zur Sonne kaum behindern. Die Sonne ist mittlerweile zu 98 % verdeckt, als wir bemerken, dass Dämmerstimmung aufkommt. Doch diese ist sehr eigenartig. Wir fragen uns warum. Was ist anders an dem Dämmerlicht der Sonnenfinsternis im Gegensatz zum Dämmerlicht des Sonnenuntergangs? Da haben wir es! Die Schattenlänge! Die Sonne brennt auf uns nieder, die Schatten sind kurz. Es fehlen die langen Schatten, die die Abendstimmung ausmachen. Die Gegend liegt nicht im abendlichen langen Schatten, sondern in der prallen Sonne. Dämmerstimmung mit kurzen Schatten, Dämmerstimmung durch nachlassende Intensität der Sonneneinstrahlung also.

Ein frisches Lüftchen kommt auf. Nur noch wenige Momente verbleiben bis zur Totalität. Keine Cumulus-Wolke kann die Beobachtung mehr trüben, denn eine solche ist in den nächsten alles entscheidenden Minuten nicht in unsere Richtung unterwegs. Die Schlacht mit dem Wetter ist gewonnen, blauer Himmel umgibt die Sonne an unserem Standort, obwohl die Großwetterlage in Deutschland praktisch einem astronomischen Supergau gleicht.

Ein Schwarm Vögel huscht noch schnell über die Weinberge. Die Spitzen der umliegenden Cumulus-Wolken im Westen tauchen sekundenschnell in gespentische Dunkelheit. Fliegende Schatten flattern über das Land. Die Sonne erstrahlt gleichzeitig als Diamantring. Kurz darauf entschwindet sie vollständig hinter dem Mond. Es ist soweit. Das Licht ist aus, der Höhepunkt des Naturspektakels erreicht.

Die koronagesäumte "schwarze Sonne" beherrscht den Himmel. Wir werden von einer totalen Sonnenfinsternis beschienen. Meine einjährige Tochter läuft mit einem ängstlichen "Mama" zu meiner Frau. Mein vierjähriger Sohn verzweifelt an der Nullsicht durch die SoFi-Brille, die er nun getrost absetzen konnte. Die nächsten zwei Minuten starren wir auf die verfinsterte Sonne. Fotos machen wir keine, das überlassen wir den anderen. Die zwei Minuten Totalität wollen wir ungestört auf uns wirken lassen.

Dunkelheit ringsherum, am östlichen Horizont zeigt sich noch kurzzeitig Abendrot unter den Wolken, bevor es auch dort finster wird. Wir sehen die züngelnden Protuberanzen, die Venus links unten, Merkur rechts neben der ausgeblendeten Sonne. Für die nächsten zwei Minuten herrscht Totenstille. Die Totenstille, die wir sonst nur von Wüsten gewohnt sind. Keine Zivilisationsgeräusche, keine Tiergeräusche. Nur Blätter rascheln leicht im Wind. Ehrfurchtsvoll genießen die Beobachtergrüppchen auf den Weinbergen um uns ringsherum diesen ungewohnten Anblick.

Kein Zweifel, ein Beobachter aus dem Mittelalter, der nicht wußte, was da vor sich geht, musste erstarren. Zu bedrohlich wirkt die Situation. Die Sonne als schwarzes Loch in einem Lichtkranz, der Korona. Plötzliche Dunkelheit ringsherum. Selbst in der heutigen Zeit würden wohl viele Menschen tief betroffen sein, wären sie nicht durch die Medien aufgeklärt worden. Das Spektakel kam zwar nach wie vor plötzlich, aber eben nicht mehr unerwartet. Schon für uns haben die zwei Minuten eine Bedeutung angenommen, die vergessen lässt, dass jenes Ereignis nur so kurz währte. Für einen Beobachter aus dem Mittelalter muss die kurze Zeit der Verfinsterung wie eine Ewigkeit vorgekommen sein. Minuten zwischen Hoffen und Bangen, was denn jetzt kommt. Minuten, in denen das Erkalten der Welt durch das Verlöschen des Lichts gar spürbar wurde.

Bei Rohrbach sind wir zwar nicht an der Zentrallinie. Aber auch wir haben immerhin gut zwei Minuten Totalität zu erwarten. Wir haben den Spatz in der Hand. Ob wir die Taube auf dem Dach hätten haben können, wissen wir nicht. Ob z. B. bei Rastatt an der Zentrallinie ähnlich gute Bedingungen herrschen, kann uns nun auch egal sein, denn allzu groß ist der Unterschied zwischen Spatz und Taube hier dann doch nicht! Wir dürfen den von den Medien vermarkteten "Tag der schwarzen Sonne" wie angekündigt und in den schönsten Farben ausgemalt erleben. Nur das zählt!

Als schließlich der erste Sonnenstrahl wieder durch die Täler der Mondgebirge auf unseren Beobachtungsort schießt, bricht fünfzig Meter weiter Jubel aus: "Mann, haben wir Schwein gehabt", hören wir herüber. Das kann man wohl sagen, als wir erfahren, wie enttäuschend an vielen Stellen in Deutschland die Beobachtungssituation sich darstellt. Angesichts der trüben Wolken ringsherum, die dem Ereignis vielleicht erst die richtige Stimmung verleihen, sind wir richtig happy, zu denen zu gehören, denen es vergönnt ist, die totale Sonnenfinsternis von Deutschland aus frei von Wolken beobachten zu können.

Ein zauberhaftes Naturschauspiel. Auf der Leeseite des Pfälzer Waldes beobachten wir durch ein stationäres Wolkenloch praktisch den gesamten Verlauf der totalen Sonnenfinsternis von elf bis 14 Uhr. Mit der nötigen Portion Glück, aber auch mit der richtigen Einschätzung der physikalischen Verhältnisse erleben wir die totale Sonnenfinsternis bei einer sagenhaften Stimmung der Natur.

Ab etwa 13 Uhr verhindern durch Thermik gebildete Cumulus-Wolken, die mit denen des Pfälzer Waldes langsam verschmelzen, zunehmend den ungehinderten Blick zur Sonnensichel. Daher wechseln wir kurzerhand den Standort. Wir folgen dem sich allmählich schließenden Wolkenloch einige Kilometer weiter nach Osten. Dort genießen wir noch bis 14 Uhr den Ausklang der Sonnenfinsternis.

Unter dem Motto "Sofi vom Sofa" runden wir nach der stau-und umleitungsreichen Heimfahrt den Tag ab. Wir identifizieren uns mit den tollen Bildern, die u. a. in der HEUTE-Sendung um 19 Uhr zu sehen waren. Anhand der Berichte aus den verregneten Gebieten rund um unseren Beobachtungsort herum wird uns jetzt erst richtig klar, wieviel Glück wir hatten, "the real thing", wie es die Engländer nannten, die "Schwarze Sonne" von Deutschland aus bestaunen zu können.

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