IM LAND DER MINIATUR-LAVASTRÖME
- Auf dem Gipfel des aktiven Vulkans Ol Doinyo Lengai -
Der einzigartige Vulkan Ol Doinyo Lengai liegt inmitten des Massai-Territoriums und ist nur über eine extrem staubige Piste zu erreichen. Es ist die staubigste Anreise, die ich bisher erlebt habe. Der inmitten des zentralen Rift Valleys liegende Ol Doinyo Lengai ist der einzige Vulkan auf der Erde, der Karbonatitlavaströme produziert. Wenn man schon mal in der Gegend ist, ist diese Herausforderung als Geowissenschaftler anzunehmen!
Sengende Hitze in der Dornsavanne in Nordtansania, 2800 m hoch ist die Kraterlandschaft, 2000 Höhenmeter müssen zu Fuß überwunden werden, um dieses einzigartige Naturschauspiel studieren zu können. Dafür campieren wir am Südrand des Natronsees, an dessen Ufer sich viele tausend Flamingos tummeln. Durch die Salzverkrustung und die Natronquellen und rötlich schillernden Bakterien und Algen ist der durch die Trockenzeit nun vertrocknende See eine merkwürdige Landschaft, die so gar nicht irdisch aussieht. Gegen 23 Uhr lassen wir uns zusammen mit unserem einheimischen Bergführer mit dem Jeep an den Kopf des Aufstiegspfades fahren. Es ist fast Vollmond. Damit ist es hell genug, um den Weg auch ohne künstliche Beleuchtung zu erkennen. Skorpion und Schütze stehen mittlerweile im Zenit, das Kreuz des Südens tiefer im Südwesten. An der Wanderung des Mondes können wir die fortschreitende Zeit einfach überwachen. Der Weg wird allmählich immer steiler, ziemlich gerade geht es unerbittlich aufwärts.
Als die Tritte zunehmend schwerer werden, zuckt plötzlich ein greller Blitz vom sternenklaren Himmel. Instinktiv gehen wir in Deckung: Vulkanausbruch? Polarlicht? Fernes Gewitter? Innerhalb von Sekundenbruchteilen wurden alle diese spontanen Gedanken sofort verworfen, insbesondere die Idee mit dem Polarlicht, denn der Himmel im Osten wird gegen etwa 4 Uhr Ortszeit am 5. Juli von einer rot-grün-lila-gelben Schweifspur regelrecht blendend zerschnitten. Und dieser Schnitt wirkt noch sekundenlang im Auge nach, weil sofort direkt dort hingeschaut habe, um so zügig wie möglich zu erfassen, ob wir uns in Gefahr befinden. Entwarnung: Der beeindruckendste Meteor, denn ich bislang gesehen habe, ist soeben in die Erdatmosphäre eingetreten! Irgendwo in Ostafrika nahe der Küste des Indischen Ozeans ist möglicherweise genau in diesem Moment ein weiterer, kleinerer Eisen-Meteorit niedergegangen...
Für uns folgt nun der anstrengendste Teil des Aufstiegs: Wie eine Fliege klettern wir die letzte Stunde im Vollmondlicht mit allen Vieren unter dem mittlerweile tiefstehenden, untergehenden Kreuz des Südens Richtung Kraterrand. Nach fünfeinhalbstündigem strammem Marsch und Klettern, erst durch Dornbüsche und mannshohes Elefantengras, später über lockere Tuffe und staubige Karbonatitsteine, sind wir erschöpft endlich am Gipfelrand angekommen. Eine surrealistische Silhouette aus hellen spitzkegeligen Karbonatitbergen, die umgeben sind von dampfenden Rissen und Spalten, verschlägt mir die Sprache. Eine lebensfeindliche Landschaft wie ich sie bisher noch nirgendwo gesehen hatte. Etwa ein dutzend Hornitos, rauchende und köchelnde Schlote (hier aus Karbonatit) bilden die Kulisse einer bizarren und skurrilen Landschaft, die vielleicht irgendwo anders in unserem Sonnensystem, z. B. auf einem Jupitermond, üblich ist, aber eigentlich nicht bei uns auf der Erde. Das Vollmondlicht gibt dem Anblick überdies eine gespenstische Note. Wir genießen den Anblick und erwarten den Sonnenaufgang. Als die Sonne schließlich aufgeht, wirft der Vulkan einen langen dreieckigen Schatten auf den westlichen Rand des Rift Valleys und das anliegende Kraterhochland.
Im gleißenden Sonnenlicht entdecken wir, dass der Vulkan tatsächlich aktiv ist: Aus einem der Schlunde quillt, angestoßen von mal starken, mal etwas schwächeren eruptiven Stößen, immer wieder neue flüssige Lava in die Karbonatitkraterlandschaft. Wir entschließen uns nach längerer Beobachtung der Phänomene aus der Distanz, in den Krater abzusteigen und uns das aus der Nähe anzuschauen. Im Krater des Ol Doinyo Lengai können wir nicht nur flüssige Lava aus unmittelbarer Nähe studieren, sondern wohl weltweit einzigartige vulkanische Prozesse beobachten.
Nach dem vierstündigen Abstieg treten wir noch am selben Tag den staubigen Rückweg nach Arusha an. Bei Mto Wa Mbu, nördlich des Manyarasees, erreichen wir wieder die Zivilisation. Auf dem weiteren Weg nach Arusha sehen wir am Osthimmel einen merkwürdigen Mondaufgang. Beim Aufstieg hatten wir doch erst Vollmond, was ist denn da mit dem Mond los? Es gibt nur eine Erklärung: Völlig unvorbereitet werden wir zum Abschluss noch unerwartet Zeuge einer wunderschönen partiellen Mondfinsternis! Welch ein Finale für unsere Erlebnisflut auf dem Landweg zwischen Victoria Falls und Nairobi!
Datum der letzten Site-Maintenance: 02.09.2003